Ansatz
Die Wende hin zu einer nachhaltigen Mobilität und somit einer zukunftsfähigen Stadt stellt in München und anderen Metropolregionen eine große Herausforderung dar: Hohe Emissionswerte, steigende Pendlerdistanzen, regelmäßiger Verkehrskollaps und ein Mangel an Freiraumflächen erzeugen einen hohen Handlungsbedarf um Metropolregionen in Zukunft klimaangepasst und menschengerecht zu machen. Deutlich platzsparendere und flächeneffizientere Mobilitätsangebote und eine Stadt mit kurzen Wegen, vielfältigen Angeboten und attraktiven Orten können hier eine Alternative bieten, die Mensch und Klima ins Zentrum stellt. Diese Transformation ist jedoch nicht ohne das Zusammenspiel von Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Gesellschaft zu erreichen – und vor allem nicht ohne Einbezug der Bürger*innen. Die Stiftung beteiligt sich in diesem Kontext an dem transdisziplinären Forschungsprojekt Autoreduzierte Quartiere für eine lebenswerte Stadt (aqt) der TU München, welches im Rahmen des Forschungscluster „Münchner Cluster für die Zukunft der Mobilität in Metropolregionen (MCube)“ durchgeführt wird. Neben der Hans Sauer Stiftung und mehreren Lehrstühlen der TU München beteiligen sich zahlreiche Partner*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft, darunter das Mobilitäts- und das Planungsreferat der Landeshauptstadt München, die SWM, die Bayerische Hausbau und zahlreiche Mobilitätsanbieter wie Sixt, Tier und Veomo an dem Projekt, welches durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Programm „Clusters4Future“ gefördert wird.
Das aqt-Projektteam entwickelt, testet und beforscht ein räumliches und verkehrliches Konzept für München mit den Zielen: eine höhere Akzeptanz und Nutzung multimodaler Verkehrsangebote zu bewirken, den individuellen PKW-Besitz und -Gebrauch deutlich zu reduzieren und somit eine Aufwertung des Raums zu ermöglichen. Dies sind wichtige komplementäre Strategien, um das Verkehrssystem zukunftsfähig zu gestalten und den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen. Denn das automobilzentrierte Verkehrssystem stellt mit seinen hohen Emissionen und Schadstoffbelastungen nicht nur einen erheblichen Einflussfaktor für den Klimawandel dar, sondern belastet mit Lärm Gefahren und einem hohen Flächenverbrauch auch das Leben in der Stadt. Durch Automobilreduktion freigewordene Flächen könnten hingegen als Aufenthaltsflächen und Begegnungsräume für die Bevölkerung sowie als begrünte Ausgleichsflächen für bspw. Hitzewellen und Starkregenereignisse genutzt werden. Dies kann zu einer Verbesserung der Lebensqualität und zu einer Anpassung an den Klimawandel in der Stadt beitragen.
Realisierung
Die Anwohner*innen spielen in diesem Projekt als Expert*innen der lokalen Mobilitätssituation und als Quelle von Feedback eine wichtige Rolle. Für die Umsetzung der Maßnahmen wurden top-down Strategien mit bottom-up Aspekten kombiniert und Informations- und Beteiligungsprozesse von Beginn an mitgedacht. Es soll erfroscht werden, wie langfristig die Akzeptanz solche Prozesse erhöht werden kann. Die Hans Sauer Stiftung entwickelte in dem Projekt in Kooperation mit den Projektpartnern eine zweistufige Strategie zur Beteiligung der Anwohner*innen und begleitete deren Umsetzungsprozess. In Phase I lag der Fokus darauf Anwohnende zu informieren, sowie Meinungen und Expertise der Anwohnenden abzufragen. In Phase II waren Co-Design und Co-Kreation ermöglichen sowie Entscheidungskompetenz zuzulassen wichtige Ziele. Hierfür bringt sich die Stiftung mit ihrem umfangreichen Expert*innenwissen und ihrem erprobten Methodensets zu Partizipationsprozessen ein, welche in Projekten wie dem Social Lab zur Perspektive München, bei Interventionen zur Vermittlung von innovativen Methoden der Stadtforschung oder zur partizipativen Gestaltung in der öffentlichen Verwaltung erprobt wurden.
Durch die TU München gemeinam mit der der Landeshauptstadt wurden zwei Münchener Quartiere ausgewählt, in welchen das aqt-Projekt Interventionen umsetzte: Rund um den Walchenseeplatz in Obergiesing und in der südlichen Au. Ab November 2022 arbeitete das Projektteam intensiv an der Umsetzung der im Vorfeld erarbeiteten zweistufigen Beteiligungsstrategie. Bei Aktionen im Quartier, unter anderem mit dem loko-Mobil oder mit großen Stadtplänen wurden mehr als 180 Einzelgespräche mit Anwohner*innen geführt und dabei Wünsche, Sorgen und Anregungen für eine Autoreduktion aufgenommen. Dabei wurden im Laufe des Projektes immer konkretere Pläne gegenüber den Anwohnenden kommuniziert. Von 2. Februar bis 31.März 2023 wurde zudem an zwei Stellen in den Quartieren Eisstockbahnen errichtet, welche zum einen eine Aufwertung des öffentlichen Raumes auch in der kalten Jahreszeit ermöglichen sollten. Zum anderen sollten durch diese “Projektschaufenster” Aufmerksamkeit im Viertel auf das Projekt und das laufende Beteiligungsverfahren gerichtet werden, um so zu einer intensivierten Auseinandersetzung der Bürger*innen mit dem Projekt beizutragen.
Ab Mai 2023 startete die Umsetzungsphase der großen Sommerreallabore. Nach einem über mehrere Wochen aufgeteilten Aufbau, entstanden in der Au am sog. “Entenbachplatz”, dem sog. “Schlotthauerplatz” und der Kolumbusstraße sowie in Giesing an der Landlstraße auf der Fläche von insgesamt über 100 temporär umgenutzten Parkplätzen öffentlich zugängliche Freiräume, Hochbeete, Sandflächen, Beschattungen und Mobilitätsangebote. Die Maßnahmen wurden mit Informationsimpulsen, Kinder-Aktivitäten, der Möglichkeit des Ausprobierens unterschiedlichster Mobilitätsinnovationen und muskalischer Begleitung im Rahmen eines Auftaktfestes offiziell eröffnet.
Die Reallabore wurden durch Bürgersprechstunden vor Ort begleitet, bei welchen Anwohnende die Gelegenheit hatten, Fragen an das Projektteam zu stellen und Anliegen, Feedback und Eindrücke zu äußern. Zusätzlich hatten die Anwohnenden die Möglichkeit sich bei Ko-Kreation Workshops zu engagieren. Mit Beginn der Umsetzung zeigte sich eine Polarisierung innerhalb der Bevölkerung. So erhielt das Projekt Zuspruch und Unterstützung durch Anwohner*innen und es kam zu einer intensiven Nutzung der Flächen, insbesondere in der Kolumbusstraße. Es wurden aber auch Beschwerden geäußert, die vor allem Nutzungskonflikte und Lärmbelästigung betrafen.
Die vom Projektteam wöchentlich angebotenen Bürgersprechstunden entwickelten sich zum zentralen Werkzeug, um auf Beschwerden und Konflikte zu reagieren. Durch die gemeinsame Erarbeitung von Anpassungen der Maßnahmen zusammen mit den Anwohner*innen und deren, wenn möglich, anschließende Umsetzung durch das Projektteam konnte ein Schritt auf die Kritiker*innen zugegangen werden. Dabei wurden aus der Anwohnerschaft vorgeschlagene Formate wie ein Spiralgespräch zwischen Kritiker*innen, Befürworter*innen und Projektteam sowie ein Demokratie-Cafe angestoßen oder unterstützt.
Der Abbau der Flächen erfolgte eine Woche früher als geplant zum 25.Oktober 2023, nachdem sich in der Verhandlung der Klagen der Anwohner*innen auf einen Vergleich mit der Landeshauptstadt München geeinigt wurde. Der frühere Abbau hat keinen Einfluss auf die Forschungsergebnisse. Das Projekt läuft noch bis Oktober 2024.
Wirkung
Wie muss urbane Mobilität im Quartier gestaltet sein, um den wachsenden Herausforderungen, wie Klimanotstand oder soziale Gerechtigkeit begegnen zu können? Welche Chancen bietet der Wandel für ein lebenswertes Miteinander? Diese Forschungsfragen liegen dem Projekt aqt zugrunde. Durch seinen partizipativen und transdisziplinären Charakter schafft das Projekt eine Plattform für einen Diskurs rund um die Neuordnung und den Wandel des öffentlichen Raums in den ausgewählten Quartieren. Die Bedürfnisse der Anwohnerschaft sollen mit in die Planungen einbezogen werden, so dass Anreize zu Verhaltensänderungen Wirkungen entfalten können, neue Mobilitätspraktiken eine Dynamik im Quartier in Gang setzen können und der Wandel gestaltbar wird.
Derzeit erfolgt eine wissenschaftliche Analyse der qualitativen und quantitativen Daten, die Während des Sommers erhoben wurde. Aussagen und Erkenntnisse über Akzeptanz einzelner Maßnahmen und Wirkungen werden im Sommer 2024 publiziert – wissenschaftlich und darüber hinaus, auch für den erneuten Diskurs mit Anwohner*innen.
Fotos: (c) LHM München / Nagy