Die Ausstellung „Dare to Design“ der Initiative German Design Graduates des Rat für Formgebung bringt im Museum Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) die visionärsten Projekte deutscher
Design-Hochschule aus dem Jahrgang 2023 zusammen. Eine Jury wählte aus den 47 in der
Ausstellung präsentierten Positionen vier Preisträgerprojekte aus, die im Rahmen der
Ausstellungseröffnung am 31. August 2023 bekanntgegeben wurden. Die Hans Sauer Stiftung fördert die Initiative und war in der Jury für die Kategorie “Gesellschaft & Gemeinschaft” vertreten.
„Dare to Design“ präsentiert die relevantesten Arbeiten von Graduierten des Produkt- und
Industriedesigns deutscher Hochschulen. Aus über 250 Einreichungen wurden 47 Positionen für die Ausstellung ausgewählt, wovon im Rahmen der feierlichen Ausstellungseröffnung vier
Preisträger*innen bekannt gegeben wurden.
Die in der Ausstellung präsentierten Arbeiten setzen sich mit Gesellschaft und Gemeinschaft,
Nachhaltigkeit und Zirkularität, Forschung und Wissenschaft sowie Inklusion auseinander. So
unterschiedlich die Projekte, Konzepte und Produkte ausgestaltet sind, eint sie alle das Verständnis, dass Design weit über Oberflächengestaltung hinausgeht. Mit Gestaltungsprozessen werden vielmehr bestehende Systeme hinterfragt, erneuert und Projekte realisiert, die ein sozial nachhaltiges Leben ermöglichen.
Die Preisträgerinnen 2023
Nachhaltigkeit & Zirkularität (Jury: Ronja Scholz, Florian Sametinger, Leiff Huff)
Toxic Legacies von Leila Wallisser, Weißensee Kunsthochschule Berlin
Die Begründung der Jury: „Das Preisträgerprojekt Toxic Legacies von Leila Wallisser besticht in besonderem Maße durch die Art und Weise, wie Designer*innen mit komplexen Problemstellungen umgehen und sich Schritt für Schritt, teils über Umwege, Themen erschließen und aneignen. Ausgehend von der Problemstellung, wie gebrauchte Zigarettenfilter sinnvoll weiter genutzt werden könnten, führten diverse Materialexperimente zu der Frage, welchen Wert das Ausgangsprodukt selbst hat, um welchen Preis ein Recycling sich lohnt. Die Transparenz, mit der diese Umwege im Projekt beschrieben werden, und wie der Weg zum Ergebnis der Arbeit demonstriert und visualisiert wird, überzeugte die Jury. Leila Wallisser nimmt sich im Projekt der Größe des Problems an und geht nicht nur kritisch mit der Themenstellung, sondern auch mit der eigenen Arbeitsweise um. In der daraus entstandenen Kampagne ‚re:cig‘ wird ‚Recycling als Lösung für alles‘ kritisiert und das dadurch propagierte gute Gewissen und die (Selbst-)Täuschung auf charmante Weise entlarvt.“
Forschung & Transfer (Jury: Stephan Ott, Andrea Augsten, Lynn Harles)
(non-) local lab von Beatriz Oria Lombardía, Bauhaus Universität Weimar
Die Begründung der Jury: „Ausgehend von der Frage, wie Design einen Mehrwert für ein wissenschaftliches, ökologisches und gesellschaftliches Thema leisten kann, verfolgte dieses Projekt nicht nur einen interdisziplinären Forschungsansatz, sondern bezieht aktiv die Zivilgesellschaft mit ein. Die Designerin hat eine klare Mission: zu hinterfragen, welchen Beitrag sie als Designerin und die Designdisziplin für Forschung, Umwelt und Gesellschaft leisten kann. Beatrice Oria Lombardía zeigt am Beispiel des Umgangs mit invasiven Pflanzen die komplexen Zusammenhänge zwischen Umweltproblemen und unserem alltäglichen Handeln. Sie verbleibt nicht bei der Thematisierung des Problems, sondern schafft Lösungsansätze, indem sie hinterfragt, wie invasive Arten wie der Knöterich auch als Ressource genutzt werden können.
Sie verknüpft interdisziplinäres Wissen mit designbasierter Materialforschung und schafft mit ihrer Installation Raum für gesellschaftliche Beteiligung. Auf diese Weise zeigt das Projekt, wie Design Brücken zwischen Forschung und Gesellschaft schlagen kann und dabei neue Wege des
Wissenstransfers jenseits gewohnter Pfade schafft.“
Gesellschaft & Gemeinschaft (Kris Krois, Tobias Trübenbacher, Barbara Lersch – Hans Sauer Stiftung)
Bücheria von Anna Unterstab, Hochschule für bildende Künste Hamburg
Die Begründung der Jury: „Anna Unterstab erreicht mit ihrer Abschlussarbeit vieles zugleich: Sie schafft eine Sichtbarkeit für queer-feministische Themen und aktuelle Herausforderungen in Hamburg Wilhelmsburg. Sie realisiert einen analogen Raum, einen Begegnungsort für Austausch, für Selbstermächtigung, sowie gemeinsames Lernen und kollektives Lesen. Beeindruckt an dem Projekt hat uns die unkonventionelle Herangehensweise im Sinne eines erweiterten Designbegriffs, woraus nicht etwa ‚nur‘ die Gestaltung eines Produkts oder Systems hervorgeht, sondern etwas noch wesentlich Umfassenderes, tiefer Gehendes, Facettenreicheres. Mit dieser besonderen Herangehensweise hat es Anna geschafft, dass ihre Arbeit nicht als reine Vision in der Zukunft verankert bleibt, sondern tatsächlich bereits im Hier und Jetzt verortet ist und dort eine wichtige, unmittelbare Wirkung entfalten kann. Das Ergebnis ist sozusagen eine ‚reale Utopie‘, gekonnt eingebettet in bestehende Strukturen. Auf diese Weise demonstriert sie mutig und ganz konkret, in welche Richtung sich die Design-Disziplin weiterentwickeln kann — mit großem Selbstbewusstsein sprengt sie die Grenzen der Disziplin ist und welchen Vorstellungen eine Design-Abschlussarbeit vermeintlich entsprechen müsste. Nicht zuletzt verdichtet sie all das in Form einer großartigen Publikation, die sogar bald im adocs Verlag veröffentlicht werden wird. Die Arbeit von Anna hat uns sehr beeindruckt und wir sind gespannt, wie sie die Bücheria weiterentwickeln wird.“
Fokusthema: Inklusion
Vruit von Juliane Kühr, Hochschule der Bildenden Künste Saar
Die Begründung der Jury:
„Die Designerin, die in diesem Fall von der gesamten Jury ausgewählt wurde, hat sich in ihrer
Abschlussarbeit mit einem Thema beschäftigt, für welches es einen großen Bedarf und doch noch keine gute Lösung, sondern vor allem Provisorien gibt. Das mag auch daran liegen, dass es sich um ein Tabuthema handelt. Mit Vruit entwickelte Juliane Kühr ein Produkt, das eine große Gruppe von Menschen – in erster Linie gleichgeschlechtliche Paare und Singles mit Kinderwunsch – dazu
ermächtigt, bei der Erfüllung dieses Wunsches auf ästhetische und lustvolle Weise zu unterstützen. Aber Vruit will nicht nur ‚die Choreographie‘, wie die Designerin den Prozess rund um die Insemination (Samenübertragung) nennt und gestaltet hat, durch das Sextoy unterstützen, versinnlichen und vereinfachen, sondern mit einem beiliegenden Heft über gesundheitliche Fragen und rechtliche Herausforderungen aufklären und zudem auf entscheidende Unterstützungsangebote hinweisen. Damit ist ihre Abschlussarbeit mehrdimensional gedacht und bringt verschiedene, auch gesellschaftlich relevante Aspekte mit ein und klärt auf. Die Designerin denkt das Produkt oder vielmehr das Thema weit über den Rahmen ihrer Abschlussarbeit hinaus und schafft es so, eine Vision für die Beantwortung der Bedürfnisse der Zielgruppe aufzuzeigen.“
Die Arbeiten der Preisträger *innen sowie 43 weitere Projekte deutscher Hochschulen sind bis zum 8. Oktober 2023 im Museum Kunst und Gewerbe (MK&G) zu sehen.
Alle ausgestellten Arbeiten im Überblick:
https://germandesigngraduates.com/gdg-exhibition-2023/
Weitere Informationen zu Öffnungszeiten und Eintrittspreisen:
https://www.mkg-hamburg.de
Radiobeitrag zu der Ausstellung und Preisverleihung in Deutschland Radio Kultur:
www.deutschlandfunkkultur.de/der-design-nachwuchs-und-seine-utopien-ausstellung-in-hamburg-dlf-kultur-d33c7659-100.html
Bilder (c): Jakob Börner