Das junge Forschungskollektiv ANA setzt sich wissenschaftlich und kreativ für den Erhalt von Gebäuden der 1970er-Jahre ein, die fast ein Drittel des europäischen Baubestandes ausmachen. Durch den Abriss entstehen enorme Abfallmengen, der Erhalt und die Weiternutzung dieser Gebäude würden Ressourcen erhalten und Abfall vermeiden.
Für eine nachhaltige, kreislauforientierte und vielfältige Stadt arbeitet das Kollektiv mit lokalen Akteuren den materiellen und kulturellen Wert dieser Architekturen heraus und entwickeln gemeinsam Strategien und Werkzeuge, um durch zivilgesellschaftliches Engagement aktiv für eine Zukunft dieser in jeder Hinsicht wertvollen Gebäude einzutreten.
Das geförderte Projekt nimmt ein rätselhaftes Gebäude der 1970er Jahre – das Gothaer-Haus in Offenbach am Main – zum Ausgangspunkt, um für das Ziel einer heterogenen, sozial und ökologisch nachhaltigen Stadt die Wertschätzung für bestehende Architekturen zu stärken.
Das Gothaer-Haus ist eine wichtige architektonische Identifikationsfigur im Offenbacher Nordend. Wie viele Bauten seiner Epoche wird es mit Baumängeln und sozial gescheiterten Nutzungskonzepten assoziiert und auch ästhetisch abgelehnt.
Während der letzten drei Jahre wurden zahlreiche Interviews mit Bewohner*innen des Hauses, mit Akteuren aus Architektur, Denkmalpflege, Kulturgeschichte, Stadtverwaltung und dem Quartier geführt. Als erstes Ergebnis erschienen diese Gespräche in Buchform (“Offenbach Kaleidoskop – Geschichten eines Hauses”, Spector Books 2022). Gerade so, wie das Haus ein kaleidoskopisches Bild seiner unmittelbaren Umgebung reflektiert, eröffnen die Gespräche neue Perspektiven auf die Mechanismen, Ideologien und Zufälle, die die zeitgenössische Stadt und ihre Häuser formen und schaffen Ansatzpunkte für einen wertschätzenden Umgang mit dem Gebäudebestand.
Für den Sommer 2023 entwickelte das Team ein Architekturvermittlungs-Objekt, das den Wert bestehender Gebäude erfahrbar machen soll. Vor dem Gebäude sind über die Sommermonate sechs Parkplätze gesperrt. Dieser öffentliche Ort dient als Diskussionsforum. Dort steht eine Sitztribüne, die Anwohner*innen zum Verweilen einlädt und den Blick auf das Gothaer Haus neu ausrichtet. Daneben gibt es eine Sound-Installation, die Geschichten über den Ort und die verschiedenen persönlichen Bedeutungen des Hauses erzählt. Dafür wurden, in Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement des betreffenden Stadtteils, Ausschnitte aus der Buchpublikation in verschiedenen, lokal vorkommenden Sprachen, aufgenommen. Ebenfalls Teil der Installation sind Bäume und Sträucher: Die temporäre Vegetation spendet Schatten, schafft ein Mikroklima und wird zum Habitat für Kleintiere und Insekten. Die Pflanzen werden am Ende des Sommers in einem Nachbarort eingepflanzt. Nach dem Abbau wird die Tribüne in Offenbach eingelagert und soll auch in Zukunft verwendet werden, um bestehende Gebäude in eine neue Perspektive zu rücken.
Zur Eröffnung der Installation fand ein eintägiges Festival statt. Einblicke in die Publikation vermittelten das darin erarbeitete Wissen. In Diskussionsformaten sprachen verschiedene Akteur*innen – von der Bewohnerin zum Besitzer bis zur Stadtverwaltung – miteinander. Während einer Haus-Tour war das Gebäude für die Nachbarschaft, sowie ein breiteres Publikum zugänglich. In einem Zeichenworkshop wurden mit Anwohner*innen die Qualitäten des Ortes herausgearbeitet und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. In einem weiteren Workshop stellte das Team vergleichbare, vom Abriss bedrohte Gebäude und Initiativen, die sich für deren Erhalt einsetzen, vor.
Ein zentrales Anliegen des Projekts besteht in der Vermittlung von systemischem Denken. Wissenschaftliches und historisches Wissen werden durch praktische und aktivistische Fertigkeiten ergänzt und in unabhängige, offene und zugängliche Formate überführt. Dies führt zur Selbstermächtigung, es werden Praktiken zivilgesellschaftlichen Engagements entwickelt – für eine kreislauforientierte, ressourcenschonende und soziale Stadtentwicklung.
Organisation:
Architektur Narration Aktion e.V.
Zum Projekt
Kontakt Projekt:
Jan Engelke, Lukas Fink, Tobias Fink, Philipp Rohé
info@ana.institute
Bilderrechte:
(c) Tobias Fink / ANA e.V.