Vor einem knappen Jahr gründete die Hans Sauer Stiftung mithilfe einer großzügigen Förderung der IKEA Stiftung das „social design lab“. Damit konnte die Stiftung Trends aus Wissenschaft und Praxis sowie Erfahrungen der eigenen Projektarbeit unter ein neues Dach bringen. Im ersten Jahr ging es um das Ausprobieren und Entwickeln: Im social design lab wurden neue Projekte initiiert und bestehende in neuartiger Form weitergeführt – immer unter Anwendung eines nach und nach entwickelten und verfeinerten Prozessdesigns. Aber was genau steckt hinter dieser Arbeitsweise?
Das social design lab bedient sich zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen der Herangehensweise des Social Designs. Das bedeutet, dass Methoden und Praktiken aus dem Design (und auch anderen Disziplinen) konsequent zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen nutzbar gemacht werden. Im Verständnis und der Praxis des Labs heißt das, dass partizipativ, iterativ, ergebnisoffen und „bottom-up“ an Lösungen gearbeitet wird. Forschung, Praxisakteure und die jeweils betroffenen Menschen werden zusammengebracht, es wird schrittweise und gemeinschaftlich an neuen Modellen, an Lösungen „von unten“ gearbeitet, die dann praktisch auf ihre Wirkungen und Effekte hin erprobt werden. So sollen gesellschaftliche Veränderungs- und Innovationsprozesse angestoßen werden, die von den Menschen aktiv mitgestaltet und – so die Hoffnung – auch breit und nachhaltig getragen werden.
Dafür wurde ein eigenes Prozessmodell und Methodenportfolio entwickelt sowie ein interdisziplinäres Lab-Team aufgebaut, das Diziplinen wie Design, Geistes- und Sozialwissenschaft sowie Kulturmanagement vereint. Mit dem „werkraum“, einer von der Stiftung entwickelten, integrativen Holzwerkstatt, steht dem Lab auch eine Werkstatt zur Verfügung, was – wie unten noch zu lesen ist – eine wichtige Ressource beim gemeinschaftlichen Entwickeln, Gestalten und Machen darstellt. Wo dies z. B. aus wissenschaftlichen, gestalterischen oder anderen Gründen erforderlich ist, werden auch immer wieder Expert*innen und Praxispartner*innen in die Projektarbeit miteingebunden.
Im ersten Jahr waren es drei größere gesellschaftliche Themenfelder, in denen Pilotprojekte mit Methoden des social design labs bearbeitet wurden: Circular Society – verstanden als eine an Kreislaufdenken orientierte Gesellschaft –, die Integration geflüchteter Menschen und die Entwicklung urbaner Zukünfte.
Circular Society: Der Mehrwerthof Markt² Schwaben
Wie können beherrschende Muster des Ressourcenverbrauchs lokal verändert werden und wie kann kreislauforientiertem Denken und Handeln mehr Raum und Relevanz verschafft werden? Können Wertstoffhöfe hierbei eine Rolle spielen, indem sie zu Orten einer nachhaltigeren Entwicklung und eines zukunftsorientierten kommunalen Lebens werden? Das sind die Fragen, die hinter dem Projekt „Mehrwerthof Markt² Schwaben“ stehen.
Gemeinsam mit dem Markt Markt Schwaben, dem anderwerk der Arbeiterwohlfahrt München, zahlreichen lokalen Initiativen sowie Bürger*innen nimmt das social design lab den Neubau eines Wertstoffhofs zum Anlass, um einen Ort zu entwickeln, an dem große gesellschaftliche Herausforderungen wie ein übergroßer Ressourcenverbrauch oder der Klimawandel ebenso wie Arbeitslosigkeit und Integration aktiv und gemeinschaftlich angegangen werden. Das berührt zahlreiche Fragen einer nachhaltigen Kommunalentwicklung, die konsequent auf Kooperation und Engagement setzt. Das Projekt will die Potentiale eines am Kreislaufdenken orientierten kommunalen Handelns – sozusagen einer kleinen „Circular Society“ – ausloten.
Dazu wurden in Workshops vor Ort zunächst Bedarfe ermittelt und gemeinsam mit Bürger*innen, den Projektpartner*innen sowie in Kooperation mit interdisziplinären Teams der Hochschule München Ideen und Konzepte entwickelt. Es entstand die Vision eines „Mehrwerthofs“, der verschiedene Module und Komponenten umfasst. In neuartigen Allianzen zwischen Kommune, Sozialwirtschaft, Hans Sauer Stiftung bzw. social design lab, Hochschulen und den Menschen vor Ort wurden zu diesen Modulen Pilotprojekte initiiert: Es finden Reparaturveranstaltungen und Tauschpartys statt, und in einem Projekt der Technischen Universität München wurden Stadtmöbel aus recycelten Materialien gebaut.
Die verbindende Idee ist, möglichst zahlreiche kreislauforientierte Initiativen und Projekte in der Gemeinde zu erproben und im besten Fall auch fest zu etablieren. Später können diese im Umfeld des neugebauten Wertstoffhofs verortet werden und diesen damit zu einem “Mehrwerthof” machen. Bis dahin ist noch viel zu tun, doch die notwendige lokale Dynamik ist entstanden und nicht zuletzt mit Hilfe sehr engagierter Menschen konnten wichtige erste Prozessschritte gemacht werden!
Integration: Home not Shelter! Stuttgart
Schon seit längerer Zeit beschäftigt sich die Hans Sauer Stiftung mit neuen Ansätzen zur Schaffung von gutem und bezahlbarem Wohnraum für alle. Ein Schwerpunkt lag dabei auf den Integrationspotentialen der Wohnungsfrage, insbesondere mit Blick auf die nach 2015 so zahlreich nach Europa geflüchteten Menschen. Die Stiftung rief dazu die hochschulübergreifende Initiative „Home not Shelter!“ ins Leben. In einem neuen Projekt in Stuttgart wird nun die Frage in den Mittelpunkt gestellt, wie die immer noch zahlreichen Sammelunterkünfte für Geflüchtete besser in ihre urbane Nachbarschaft, in die Quartiere bzw. das kommunale Leben integriert werden können.
Dazu wird die Herangehensweise und Methodik des social design labs genutzt: Zunächst wurde die Situation unter engem Einbezug der Betroffenen und lokal Handelnden vor Ort – eine vom Projektpartner Malteser betriebene Gemeinschaftsunterkunft im Norden Stuttgarts – eingehend analysiert: Von der Architektur über die städtebauliche Situation bis hin zu den sozialen und kulturellen Mikroprozessen in und um die Unterkunft. Gemeinsam wurden daraus Bedarfe ermittelt und Lösungen, darunter ein Prozessmodell zur Aufwertung des Sozialraums in und um die Unterkunft, entwickelt. Dies bezog sich in einer ersten Stufe auf die Unterkunft selbst und wandte sich dem dortigen (und in zahlreichen anderen Unterkünften) notorischen Mangel an funktionierenden Gemeinschaftsräumen zu. Das Berliner, auf Partizipation spezialisierte Architekturbüro die Baupiloten wurde einbezogen und schließlich gemeinsam mit einer Bewohner*innengruppe ein Rückzugs- und Lernraum entwickelt. Dieser wurde im Rahmen von Bautagen vor Ort gemeinsam mit der Bewohnerschaft (und dem „werkraum“ – der Werkstatt des social design labs) eingerichtet. Die Nutzung und Kontrolle des Raums wurden der Bewohnerschaft übertragen. In derselben Art wird der nächste Projektzyklus angegangen, der eine veränderte Nutzung der Außenräume sowie die Verbindungen in die Nachbarschaft in den Mittelpunkt stellt.
Einen Blog zur Initiative findet man hier: www.homenotshelter.org
Stadtentwicklung: der Perspektive München-Prozess
Die „Perspektive München“ ist ein Stadtentwicklungskonzept und bildet seit 1998 den kommunalen Orientierungsrahmen für die zukünftige Entwicklung der Stadt München. Das Konzept wird immer wieder an sich verändernde Herausforderungen und Trends angepasst und daher regelmäßig fortgeschrieben. Diese zyklischen Fortschreibungen sehen stets auch eine Beteiligung der Münchner Bürger*innen vor, was ein interessantes und hochrelevantes Feld für Social Design-Ansätze darstellt. So wurde in der aktuellen Fortschreibung ein neues methodisches Element eingeführt, das vom social design lab-Team der Hans Sauer Stiftung entwickelt wurde und auch durchgeführt werden wird: Ein sogenannter Social Lab-Prozess, in dessen Rahmen sich ab Oktober 2019 eine sehr diverse Gruppe von Münchner*innen in einer Veranstaltungsreihe mit großen Themen der Stadtentwicklung wie soziale Ungleichheit, Digitalisierung, bezahlbarer Wohnraum und Mobilität auseinandersetzen wird. Im Mittelpunkt stehen dabei neuartige Formen der Zusammenarbeit, des Austauschs und der kreativen Ideenentwicklung über fachliche, soziale, kulturelle und sonstige Grenzen hinweg. Ziel ist es, mit einer heterogenen Lab-Gruppe aus Münchner Bürger*innen Leitbilder und Szenarien für das München des Jahres 2040 zu entwerfen.
Genauso geht es aber darum, mit einem „Social Lab“ für die Perspektive München ein neuartiges Werkzeug der Stadtentwicklungsplanung zu entwickeln und zu testen. Dazu wird das social design lab weitere unterstützende und flankierende Prozesse und Projekte mit der Technischen Universität München, der Hochschule München und den zivilgesellschaftlichen Initiativen OuiShare und salonfestival durchführen.
Interventionen: Vorträge, experimentelle Stadtforschung, Summerschool etc.
Zusätzlich zu den Projekten, die einer längerfristigen Prozesslogik folgen und mit größeren Themenschwerpunkten verknüpft sind, verfügt das social design lab auch über ein Angebot flexiblerer und kleinerer Formate. Hier sollen Themenfelder erschlossen und auch neue Formate ausprobiert werden. Solche sogenannten „Interventionen“ können dabei ganz unterschiedliche Formen annehmen und reichen von Vorträgen über Workshops bis hin zu neuartigen Veranstaltungs- und Forschungsformaten.
Im Rahmen der Interventionen fand im Januar 2019 ein Vortrag von Daniel Kerber an der Hochschule München zum Thema „Design for Social Innovation“ statt. In einem Zwischennutzungsprojekt in München-Laim wurde im Mai 2019 das temporäre Fitnessstudio „Fit & Fun” eröffnet, um auf diesem Weg Menschen mit nur geringer Affinität zum Thema Stadtentwicklung zu ihren urbanen Bedürfnissen und Wünschen zu befragen. Im August 2019 wird das Lab dann einen Tag einer internationalen Summerschool für Architekten zum Thema „Co-Living“ in der Multihalle in Mannheim gestalten und durchführen. Ziel ist es, die Studierenden über innovative Methoden der Stadtforschung an die Situation vor Ort, aber auch an die tatsächlichen Bedürfnisse der Stadtbewohner*innen heranzuführen und, so die Hoffnung, die Entwurfsphase der Studierenden maßgeblich beeinflussen. Des Weiteren findet im September 2019 am Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg im Rahmen der Ausstellung „Social Design“ ein vom Lab konzipierter Workshop und eine Podiumsdiskussion zum Thema „Was ist ein guter Social Design Prozess?“ statt.
social design lab: Prinzipen und Ausblick
Wie man den Projektbeschreibungen entnehmen kann, gibt es wiederkehrende Elemente, die ein social design lab–Projekt ausmacht.
Alle Projekte zeichnen sich dadurch aus, …
… dass es um die Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen und nicht etwa um wirtschaftliche oder kommerzielle Fragestellungen geht;
… dass sie aus miteinander verketteten Modulen oder auch Zyklen bestehen, die zu einem Gesamtprozess zusammengefügt werden;
… dass sie auf flexibles Agieren und eine schrittweise Annäherung an gute Lösungen setzen;
… dass sie ergebnisoffen und nicht etwa im Voraus geplant sind;
… dass beteiligte und betroffene, oft aber nicht gehörte Gruppen wie Bürger*innen, Schüler*innen oder Geflüchtete von Anfang an systematisch eingebunden werden;
… dass auch andere Akteur*innen, Stakeholder*innen und Entscheider*innen einbezogen werden, auch um schnelle Wege für Umsetzungen zu eröffnen;
… dass dem praktischen und manuellen Tun, dem gemeinschaftlich handwerklich und kreativ Arbeiten wie auch dem Testen und Ausprobieren eine zentrale Rolle zukommt;
… dass in alle Projekten Forschung und Wissenschaft eingebunden ist und wissenschaftliches Wissen mit dem Praxis- und Erfahrungswissen der Akteure zusammengebracht wird;
… dass sich bei genauerer Betrachtung weitere parallele „Lab-Prinzipien“ feststellen lassen.
Das social design lab als Projekt der Hans Sauer Stiftung und der IKEA Stiftung wird in seinem zweiten Jahr diese Art des Arbeitens weiterentwickeln, testen und verfeinern. Die Lab-Struktur bietet dabei die Möglichkeit, die Arbeit kontinuierlich zu reflektieren und Erkenntnisse und Erfahrungswissen so aufzubereiten, dass sie in Zukunft auch Dritten zugänglich gemacht werden können. Das social design lab will so einem neuen, auf Teilhabe und Ermächtigung setzenden Ansatz, gesellschaftliche Herausforderungen und Missstände anzugehen, mehr Geltung und Relevanz verschaffen. Aus der Überzeugung heraus, dass solche Ansätze nicht nur die besseren Ergebnisse produzieren, sondern auch Ergebnisse, die robuster, resilienter und damit nachhaltiger sind.